Gemeindebrief und Predigten
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Gemeindebrief Weihnachten 2024 bis Februar 2025 (PDF | 4.64 MB)
Worte des Lebens - Nehmen Sie unsere Predigten mit in Ihren Alltag.
" Erzählt Geschichten", 1. Advent 2024
Predigt zum 1. Advent 2024 in Kröpelin
Erzählt euch Geschichten
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Seit einiger Zeit bin ich nun ein Vorleser geworden. Geschichten von Pittiplatsch und Mobbi sind sehr begehrt. Aber auch von einem gewissen Bobo, die Hummel Bommel und das Buch über die Hasenschule. Aber wenn das Licht aus ist, dann soll ich noch was singen oder erzählen. Gern singe ich dann unsere Lieder aus dem Ev. Gesangbuch, alles, was ich auswendig kenne. Und dann erzähle ich gern Geschichten aus der Bibel. Die sind mir vertraut. Erziehung heißt ja zu zeigen, was man liebt. Neulich erzählte ich von Maria, die schwanger ist, so wie die Mama. Die musste mit ihrem Mann umziehen in eine andere Stadt, nach Bethlehem, das ist ganz weit weg. Wir mussten nur bis Detershagen. (Aufgrund eines Wasserschadens im Pfarrhaus mussten meine hochschwangere Frau, unser zweijähriger Junge und ich in eine Ferienwohnung umziehen) Ich erzählte vom Stern, vom Stall, den Tieren und dem kleinen Baby, dem Jesuskind, das auch in Windeln gewickelt wurde. Und das Mama und Papa da waren und es beschützt haben. So wie Mama und Papa ihren Jungen beschützen. Und da waren auch Engel Gottes, die sich riesig gefreut haben, dass das Jesuskind gesund zur Welt kam. Engel freuen sich besonders, wenn Kinder geboren werden.
Als meine Frau dann am nächsten Abend den Lütten ins Bett brachte, sagte sie danach, dass er ständig was von Maria erzählt hat. Ich sagte ihr, dass ich ihm die Weihnachtsgeschichte erzählt habe. Ach soooo, die Maria! Mein katholischer Freund wird sich freuen, da Maria nun die erste biblische Gestalt ist, die unser Junge ins Herz genommen hat. Soviel zum fröhlichen Familienleben.
Werden eigentlich noch Geschichten erzählt? Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Medien die meinungsbildende Herrschaft übernommen haben. Wenn Sie Menschen zuhören, erfahren Sie schnell, welchen Sender sie bevorzugen: öffentlich-rechtlich oder privat. Medien bestimmen immer mehr, was wir denken und fühlen. Viele können lange über Trump, Putin und andere anrüchige Berühmtheiten reden. Andere kennen sich in den Familien von Königshäusern exzellent aus, wissen aber kaum etwas von ihrer eigenen Herkunft. Erzählen wir uns Geschichten? Geschichten, die uns Hoffnung schenken, die uns ermutigen, die uns durchhalten lassen? Wer kennt die großen Erzählungen der Menschheitsgeschichte? Wer kennt die eigene Familiengeschichte?
Neulich erzählte eine junge Frau in einer Runde, in der es um die eigenen Trauererfahrungen ging, was sie getröstet hat, wer ihr Mut gemacht hat, wer ihr zur Seite stand. Es war eine tolle Geschichte. Ich sagte ihr, dass es ganz wichtig ist, diese gute, hilfreiche Erfahrung weiterzusagen. Es sind Mutmachgeschichten. Die anderen Teilnehmer erzählten nur von ihrem Schmerz, dem Verlust. Ist es nicht aber so, wie die Dichterin sagt:
„Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond“ (Mascha Kaléko)
Gibt es nicht auch in jeder Seelendunkelheit kleine Sterne und den Mond? Vielen geht es so: wenn sie erzählen, geraten sie in eine Art Problemtrance. Sie sitzen wie auf einem Karussell und drehen sich im Kreis ihres Kummers. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie da gar nicht mehr runter wollen.
Ich erzähle noch etwas aus meiner Familie. Wir saßen als Kinder oft am Küchentisch, der das Zentrum des Familienlebens war. Mutter erzählte von Früher. So wurde Vergangenes bedeutsam auch für uns. Und sie sprach von ihrem Glauben, von Gott, der für sie ganz selbstverständlich im Himmel war und auf uns aufpasst. Sie erzählte von guten und von bösen Mächten. Es waren vor allem Geschichten der Bewahrung. Es gab Schönes, Lustiges, aber auch viele Geschichten voller Leid: von den Russen, dem Treck, die neue Heimat. Am Grab ihrer Eltern sprach sie davon, dass die Oma vom Himmel schaut und sich freut, dass ich das Grab so schön harke und der Mutter die schweren Wasserkannen trage. Gott zog damals in meine Seele ein und wurde zum Dauergast.
Wer sitzt heute noch am Küchentisch und erzählt sich was? Fernseher und Computer haben uns fest im Griff. Wir glauben, dass wir das Handy händeln, es ist schon lange umgekehrt. Welche Geschichten werden uns medial aufgetischt? Und was bewirken diese? Sind es nicht eher Geschichten, die verunsichern, die Zweifel sähen, die in erschreckender Weise Hass und Angst verbreiten? Wie fühlen sie sich nach einer Nachrichtensendung, nach einer Politsendung?
Es gibt sie aber noch, die unendlich große Schatzkammer, in der die Märchen und Sagen, die Legenden und Mythen, die Lieder und Hymnen aufbewahrt sind. Texte, die aus dem Schatz der Weisheit Antworten geben und Lebenssinn begründen. Es sind vor allem Geschichten über Bewahrung, auch über den Tod hinaus, von Hoffnung, die nie endet, und vom Sieg der Schwachen über die Starken.
Man weiß wohl, dass heute der 1. Advent ist, aber welche Geschichte gehört dazu? Nach dem gestrigen Kröpeliner Weihnachtsmarkt, was erzählt man sich da? „Ich hatte drei Glühwein mit Schuss!“ Ich hatte nur 2 ohne Schuss. Oder zu Ostern, zu Himmelfahrt? Geschichten sind die Nahrung unserer Seele. Viele nagen am Hungertuch.
Ich bin überzeugt, dass das Volk Israel nie durch die Wüste gekommen wäre, hätten sie sich nicht Geschichten vom gelobten Land erzählt.
Eine alte Unterrichtsmethode war es, Texte auswendig zu lernen. Der Lehrer liest einen Text vor, die Schüler wiederholen ihn solange, bis sie ihn auswendig können. Um sich alles besser zu merken, wurden sie auch gesungen. So lernten Menschen viele Texte, viele Lieder auswendig und trugen damit einen großen Schatz in sich. Sie wussten, wer Abraham, Jakob und Josef waren. Von Jesus, ihrem Herrn und Heiland, wussten sie zu erzählen. Sie nahmen ihre Lieder und Geschichten mit in den Krieg, mit auf die Flucht, mit in eine neue Heimat. Manche Älteren unter uns mussten im Konfirmandenunterricht noch so lernen. Lieder des Gesangbuchs und Bibelverse können sie auswendig. Oft auch, wenn sie nicht mal mehr ihre eigene Tochter erkennen.
Wer schon mal in großer Bedrängnis war, weiß, dass es Augenblicke im Leben gibt, die einem die Sprache verschlagen. Dann dürfen wir die Sprache, die Worte der Vergangenheit uns leihen. Die Worte derer, die vor uns waren und uns diesen Schatz überliefert haben. Da steht man am Totenbett, faltet die Hände und leiht sich die kostbaren Wortperlen: „Vater unser im Himmel …“ Gab es Situationen, in denen auch Sie nur noch das Gebet des Herrn sprechen konnten? Nach einem Schlaganfall, so erzählte mir eine 91-jährige Dame, konnte sie nicht mal mehr das Vaterunser beten. Es war einfach weg. Das war so schrecklich. Dann erzählte sie, wann sie es gebetet hatte. Als die Russen ihre letzte Kuh vom Hof holen wollten. Als sie auf der Flucht nicht mehr auf die Gustloff gekommen sind, sondern nur ein oller, schäbiger Pott sie über die Ostsee brachte.
Mich erfüllt tiefe Dankbarkeit, wenn ich an die alten Erzählungen der Heiligen Schrift denke. Ich bin dankbar für die Geschichten voller Leben, für die alten Lieder, für den Psalm, der von meiner Trauer sing und darin nicht erstickt. Kein Psalm, auch der 22. nicht, verliert sich in der Verzweiflung. Es gibt keine Verlassenheit ohne Geborgenheit. Jede Klage mündet im Lob. Ich konnte mir diese Schätze oft leihen. Ein gutes Rüstzeug in der Finsternis.
Wenn ein Mensch durch die Nacht gehen muss und dann kein Lied kennt, das den Morgen besingt, der kann sich in der Dunkelheit verirren. Depression und Ängste sind solche dunklen Verirrungen. Dagegen hilft: singt Lieder des Lichts: „Wir sagen euch an, den lieben Advent, sehet die erste Kerze brennt.“ „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Das ist gesungene Therapie. Was braucht es da noch Psychopharmaka?
Wir singen eine Welt herbei, in der es endlich Frieden gibt, in der die Armen nicht mehr unterdrückt werden, in der die Kranken Heilung erfahren und das nach jeder Nacht ein neuer Morgen anbricht.
Ich erzähle Ihnen nun eine Geschichte. Es ist die aus dem Evangelium, der guten Nachricht, die ich Ihnen bisher vorenthalten habe. Hören Sie nicht mit den Ohren, sondern mit dem Herzen.
Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht Sach 9,9: »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa. Matthäus 21,1-11
Spannend! Da will man doch wissen, wie es weitergeht.
Schenken sie doch zu Weihnachten eine persönliche Geschichte. Eine, die sie besonders lieben. Und erzählen oder singen sie immer wieder von dem Sieg des Lebens über den Tod, vom Licht aus der Höhe, von Maria und Josef und den Engeln. Und von einem sanftmütigen König, der auf einem Esel kommt, ein Gerechter und ein Helfer. Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
"Liebe den Feind in dir und vergib dir selbst" 20. Oktober 2024
Evangelium: Mt. 5,38-48 Predigttext
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will. Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Gerade haben wir noch mit Worten Martin Luthers so gebetet: Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde. Wer ist der böse Feind?
In der 2. Strophe des Kirchenschlagers Danke heißt es: „danke, wenn auch dem größten Feinde / ich verzeihen kann“. Wer ist der größte Feind?
Es gibt geschichtliche Ereignisse, die sich tief in mein Gedächtnis eingenistet haben. Ich sehe die beiden Staatschefs Konrad Adenauer und Charles de Gaulle vor mir. Am 14. September 1958 empfing der großgewachsene Franzose unseren Bundeskanzler. Sie reichen sich die Hand und beide beteuerten, dass in Zukunft Frieden zwischen den Ländern sein solle. 1963 wird dann der Élysée-Vertrag unterzeichnet, der deutsch-französische Freundschaftsvertrag. Über Jahrhunderte waren sie Feinde. De Gaulle war Soldat im 1. Weltkrieg. Er hatte erlebt, wie deutsche Maschinengewehre und Bomben seine Kameraden töteten. In der Schlacht bei Verdun z.B. Er selbst wurde mehrfach verwundet und kam schwerverletzt in deutsche Gefangenschaft. Im 2. Weltkrieg stieg er zum General auf und verteidigte sein Land gegen die deutschen Besatzer. Während der deutschen Invasion in Frankreich war er der einzige französische befehlshabende Offizier, dem es gelang, die Deutschen zu einem Rückzug zu zwingen. Doch letztlich konnte die Wehrmacht nicht aufgehalten werden. Wenn einer einen Grund gehabt hätte, die Deutschen bis zu seinem Lebensende als Feinde zu betrachten und zu behandeln, dann er. Doch er spricht von Freundschaft, von Versöhnung und reicht dem einstigen Feind die Hand.
Und nun zum Predigttext. Wir haben heute eines der schwierigsten Kapitel christlicher Ethik vor uns: die Feindesliebe.
Wie kann ich in unserer Zeit konkret die Feindesliebe praktizieren? Wir lagen in keinem Schützengraben. Von uns musste wahrscheinlich niemand jemanden vergeben, der Kameraden oder gar Familienmitglieder getötet hat. Wir erleben es eher so: Wie soll ich den lieben, der mich in der Firma mobbt, der ständig Intrigen gegen mich anzettelt oder mich direkt bekämpft? Wie soll die Frau ihren Bruder lieben, der nach dem Tod der Eltern ihr die Erbschaft streitig macht? Wie soll die Konfirmandin jene lieben, die sie in den sozialen Medien lächerlich machen, Bilder von ihr posten, die sie beschämen? Feindesliebe bedeutet nicht, dass ich mir alles gefallen lasse. Aber sie verlangt, dass ich die Feindschaft nicht erwidere. Wenn ich die Feindschaft erwidere, dann stehe ich im ständigen Kampf mit dem anderen. Und dann gilt das Recht des Stärkeren oder auch des Schwächeren, denn auch die Schwachen haben Macht. Ich habe mich oft hineinziehen lassen. Ich habe manchmal zu lange ausgehalten, zu lange geduldet. Das Feindliche zwischen uns kann oft dadurch wachsen, dass wir nicht handeln und es wachsen lassen. Feindesliebe heißt nicht, ich bin ein Duckmäuser. Aber war denn dann?
Ich möchte in Kürze drei Punkte nennen, die ich im Blick auf die Feindesliebe für wichtig halte.
1. Lass dich vom andern nicht zum Feind machen.
Zunächst sollten wir nicht alles so ernst nehmen. Vielleicht hilft ja schon etwas Humor. Der berühmte Clown Grock erhält eines Tages einen Brief, der voll ist von falschen Beschuldigungen und schlimmen Behauptungen. Seine Freunde raten ihm, den Absender des Briefes zu verklagen. Auch ein Clown könne ja nicht immer nur lustig sein. Aber Grock winkt ab. „Ich möchte das anders regeln“, sagt der Clown. Er schickt den Brief zurück an den Absender und schreibt dazu: „Diesen unverschämten Brief habe ich bekommen. Ich schicke ihn nun an Sie, damit Sie wissen, dass irgendjemand in Ihrem Namen beleidigende Briefe verschickt. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Clown Grock“ Was mich an dieser kleinen Geschichte fasziniert: Grock sich nicht beleidigen lässt. Er erwidert humorvoll und lässt so die Beleidigungen beim Absender. Grock lässt sich in die Beschimpfungen nicht hineinziehen. Er nimmt das Böse nicht an. Er schlägt nicht zurück. Das ist es, worauf es hier ankommt. Worauf es so oft ankommt. Grock lässt sich nicht zum Feind machen!!!
Paulus sagt: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Der Clown sagt: Vergeltet Böses mit Humor. Dann nimmst du dem Bösen vielleicht den Wind aus den Segeln.
Die Konflikte in Israel und wo auch immer werden durch Humor sicherlich nicht gelöst. Aber die vielen kleinen Kriege, die wir im Alltag führen, da kann der Clown uns schon was sagen. Noch einmal: lass dich nicht zum Feind machen! Jesus selbst wurde von einigen Theologen als Harlekin Gottes bezeichnet. Ein armseliger Landstreicher und gleichzeitig ein König und Weltenherrscher, der auf einem Esel in die Hauptstadt einreitet, um seine Ohn-Macht zu demonstrieren. Er ließ sich, wie der Clown, nicht zum Feind machen.
Vielleicht ist es auch uns möglich, nicht alles so furchtbar ernst zu nehmen. Die Mitmenschen und uns selbst mal mit einem kleinen Augenzwinkern zu betrachten, ist doch auch entlastend. Denn, so meint Robert Spaemann, „einen Menschen völlig ernst nehmen, heißt ihn vernichten. Denn vollkommen ernst genommen zu werden überfordert uns.“ Robert Spaemann, Glück und Wohlwollen
Hätte der Clown den Brief mit den Beschimpfungen völlig ernst genommen, dann wäre seine Selbstwert, seine Würde angeknackst, vielleicht sogar vernichtet.
2. Sieh hinter dem Feind seine eigene Zerrissenheit
Wenn ich hinter dem Feind seine eigene Zerrissenheit erkenne, dann nehme ich sein feindliches Verhalten nicht persönlich. Ich spüre, dass er mich bekämpfen muss, weil er eigentlich im Kampf gegen sich selbst liegt, weil er vieles bei sich selbst nicht annehmen kann. Ich sehe im anderen den, der an sich leidet. Ich kann dann für ihn beten und ihn segnen, weil mich sein Leiden, nicht sein Hass, berührt.
Hier liegt auch die Möglichkeit der Vergebung. Erst wenn mir klar wird, dass der andere ja ein Leidender ist, dann kann ich ihm vielleicht auch seine Bosheiten, mit denen er mich verletzt hat, vergeben. Ein Täter war doch einst auch nur ein Opfer. Das misshandelte Kind wird zum Misshandler.
Eine weitere geschichtliche Erinnerung trage ich in mir. Papst Johannes Paul II. wurde einst von einem Mann angeschossen und schwer verletzt. Nachdem er wieder gehen konnte, besuchte er den Attentäter im Gefängnis und vergab ihm seine Tat. Er konnte ihn in seiner Verirrung sehen, in seiner Wut und seiner Verzweiflung. Er sah hinter dem Täter einen in sich selbst verirrten Menschen. So kann der Weg der Vergebung anfangen.
Ich hörte von einer Frau, die sehr unter ihrem Vater gelitten hatte. Nach vielen Jahren schaute sie auf das Leben des Tyrannen. Sie sah zum ersten Mal nicht die Schreckensgestalt, sondern auf die einst erlittene Armut, die daraus entstandenen Ängste und den verzweifelten Kampf dahinter. Sie begann zu verstehen, warum er so war, wie er war. Erst dann, nach Jahrzehnten, begann für sie der Weg der Heilung, der aus der Vergebung kommt. Wer seelisch gesunden will, der muss vergeben können.
3. Der größte Feind bin ich mir selbst
Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde. Wer ist der böse Feind? So habe ich anfangs gefragt. Eine letzte Antwort nun: Der größte Feind bist du dir selbst. Also liebe nicht nur deine Feinde, sondern zunächst lerne den Feind in dir zu lieben.
Es sind unsere Verletzungen, unsere Kränkungen, die wir mit uns tragen und mit denen wir in die Beziehung zu anderen gehen.
Oft können wir anderen nicht verzeihen, weil wir uns selbst noch nicht verziehen haben. Ich verzeihe mir selbst heißt, ich söhne mich aus mit mir selbst. Ich komme zunächst einmal mit mir ins Reine. Alle das Versäumte, all die schmerzlichen Verluste, die unbetrauert blieben, all die Verletzungen, die ich mir selbst zugefügt habe, all die Kränkungen, die ich erduldet habe, all das, was ich habe mit mir machen lassen … all das bringe ich mit mir ins Reine. So geschieht Heilung. Nur eine in sich versöhnte Seele kann auch versöhnen. Nur ein geheiltes Herz, kann andere heilen.
Liebe Gemeinde, in jedem von uns möge ein Clown sein und kein Feind. Dann müssen wir uns nicht bekämpfen und übereinander herziehen. Wir können gemeinsam lachen, einander vergeben, einander beistehen.
„danke, wenn auch dem größten Feinde / ich verzeihen kann“. Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
"Heilung einer verkrümmten Frau" vom 18.August 2024
„Aus so krummem Holze, aus dem der Mensch gemacht ist, kann nicht gerades gezimmert werden." So meine Immanuel Kant vor etwa 240 Jahren. Im „aufrechter Gang“ sah der Marxist Ernst Bloch den Menschen der Zukunft. „Aufrechter Gang – das ist Leben in Sinnesgewissheit. Krummes Holz – dem ist Sinn bezweifelt oder ganz aufgekündigt. Wie kommt krummes Holz zum aufrechten Gang?« So fragt der Theologe Helmut Gollwitzer, so fragen wir auch heute. (H. Gollwitzer, Krummes Holz – Aufrechter Gang, S.9)
Heute hören wir von der Heilung einer verkrümmten Frau. Jesus konnte Menschen so begegnen, dass sie in seiner Nähe eine Kraft spürten, die ihr Leben veränderte. Vielleicht gelingt es uns in diesem Gottesdienst, ein wenig diese Nähe zu spüren. Gebe uns Gott dazu seinen Segen.
Lukas 13,10-17 Die Heilung einer verkrümmten Frau
Und er lehrte in einer Synagoge am Sabbat. Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott. Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag. Da antwortete ihm der Herr und sprach: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? Musste dann nicht diese, die doch eine Tochter Abrahams ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden? Und als er das sagte, schämten sich alle, die gegen ihn waren. Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Es war eine Frau, mit Namen Johanna, die mit ihrem Mann Chusa in einem schönen Haus in griechisch-römischen Stil wohnte. Es war die Zeit, in der Jesus mit seinen Leuten umherzog und Anstoß erregte. Chusa und Johanna kommen über diesen Jesus ins Gespräch. Ihr wohlhabender Mann nennt ihn einen „harmlosen Spinner“. Er und seine Leute sind „arme Schlucker, die sich aufspielen, als seien sie Könige“. Dieser Jesus verführt die kleinen Leute und verbreitet nur Aberglauben. Man sollte ihn auf keinen Fall unterstützen und ihm Geld und Lebensmittel schenken. Dies sagte er ohne zu wissen, dass genau dies seine Frau tat. Denn sie war sehr berührt von den Worten und Taten Jesu. Und eben diese Johanna widerspricht ihrem Mann und sagt: Jesus „bringt den kleinen Leuten Haltung bei“. „Die(se) kleinen Leute sind geduckte Menschen. Er will, dass sie aufrecht gehen.“ „Und davor habt ihr alle Angst … ihr habt Angst davor, die kleinen Leute könnten auf den Gedanken kommen, dass sie keine kleinen Leute sind.“ So schreibt Gerd Theißen in seinem Buch Der Schatten des Galiläers. (Siehe 13. Kapitel, Eine Frau protestiert, S. 167ff)
Liebe Gemeinde, die Johanna ist hier nur eine Erzählfigur. Lukas nennt sie und ihren Mann, der ein Beamter am Hofe des Herodes Antipas war. Aber sie steht für die vielen Frauen, die in der Jesusbewegung mitmischten. Das ist sehr faszinierend. Frauen, uns sind auch Jüngerinnen bekannt, mussten einen so starken Einfluss gehabt haben, dass man / dass Mann sie nicht verschweigen konnte. Frauen hielten unterm Kreuz aus, als Jesus sich in den Tod quälte. Wo waren die Herren? Frauen waren es, die am Ostermorgen zum Grab gingen und wundersames erlebten. Es war sehr früh, als gerade die Sonne aufging. Da haben die Männer vermutlich noch auf der Strohmatte gelegen. Maria von Magdala ist nur eine von unzähligen Frauen, die die Osterhoffnung in die Welt trugen.
Lydia, die erste Christin auf europäischen Boden. Die erste Christin Europas – eine Frau. Und Achtung! Paulus schreibt im Brief an die Römer: „Grüßt den Andronikus und die Junia, … die berühmt sind unter den Aposteln.“ In älteren Übersetzungen wurde Junia als Junias, also als ein Mann, wiedergegeben. Es war nicht ganz im Sinne der Kirche, dass eine Frau sogar unter den Aposteln war. Bis heute wird ja darüber diskutiert. Frauen wird die Priesterweihe deshalb versagt, weil der Herr nur Herren als seine Nachfolger berief. Heute wissen wir es besser und moderne Bibelübersetzungen verschweigen es nicht: auch Frauen hatten einst hohe kirchliche Ämter. Das hat sich dann aber schnell gegeben. Ob es je eine Päpstin gegeben hat? Wer weiß? Ich hätte nichts dagegen.
Soviel zur Stellung der Frau im jungen Christentum. Es war aber wichtig, denn nur so können wir auch das nun folgende Wunder verstehen: die Heilung der verkrümmten Frau. Denn in den patriarchalen Strukturen war es das Schicksal vieler Frauen, ihr Dasein in einer Art Verkrümmung zu fristen. Den Blick in den Staub, nur nicht provozieren, nur nicht auffallen, nur nicht anstößig sein und immer demütig alle Weisungen und Gebote halten, dem Manne eine gute Frau sein, heißt vor allem eine gehorsame Frau zu sein. Kinder in Schmerzen gebären, für sie zu sorgen, den Haushalt zu schmeißen. Sozial waren die Frauen von den Männern völlig abhängig. In einigen Männerköpfen hat sich bis heute nicht viel verändert. Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten, die Vertreter der Religion, alles Männer natürlich, spielten sich oft genug auf, als wären sie Gott persönlich. Und den Gott, den sie verkündeten, glich einem Gesetzeslehrer, der peinlich genau darauf achtete, dass alles seine Ordnung hatte, dass alle Vorschriften auch eingehalten wurden. Und wehe nicht. So wie der Synagogenvorsteher, der sich empört, weil Jesus am Sabbat die Frau heilt. Das geht ja gar nicht. Vom Gesetz her gedacht wohl richtig, aber nicht vom leidenden Menschen aus gesehen. Barmherzigkeit ist höher als jedes Gesetz. So dachte und handelte Jesus.
Wie anders also musste Jesus auf die Menschen gewirkt haben, besonders auf Frauen, dass sie sich in seiner Nähe trauten und Heilung erhofften? Jesu Art musste eine ganz andere gewesen sein. Sein Gott war wie ein Vater, barmherzig, liebend und kinderfreundlich. Seine Worte taten gut. So! war Heilung möglich. So! macht es die Herzen weit für den Himmel. Das erlebten besonders Frauen, wenn sie in die Liebesnähe Jesu kamen.
Die verkrümmte Frau wird heimgesucht von einem „Geist“, der sie krank macht. Heute würden wir ihr einen Aufenthalt in einer Psychosomatischen Klinik anempfehlen. Wir erfahren, dass sie schon 18 Jahre ihre Erkrankung hat. Der Beginn ist datierbar. Was ist da vor 18 Jahren passiert? Vielleicht wollte sie nicht heiraten und wurde in eine Ehe gezwungen? Vielleicht hat sie ein Kind verloren? Vielleicht wurde sie Opfer einer schweren Misshandlung? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, dass der Druck von Angst und Schuldgefühlen einen Dauerstress erzeugt. Dadurch kann es zu chronischen Muskelverspannungen, zu Schädigungen im Wirbelbereich, zu Arthrose und rheumatischen Symptomen kommen. Depressive klagen oft über schlimme Rückenschmerzen. Da ist orthopädisch oft nichts zu finden. Unser Ausdruck „Hexenschuss“ besagt ja auch, dass der Schmerz durch einen Geist, also dämonischen Ursprungs ist. Es ist erstaunlich, wo die Heilung geschieht. Im Synagogengottesdienst. Dieser war Sache der Männer. Frauen waren allenfalls im Hintergrund anwesend. Die fanden keine Beachtung. Jesus aber sieht sie, als er inmitten der Leute lehrte. Er geht nicht zu ihr hin. Er führt sie nicht raus, weg von der Menge, wie bei anderen Heilungen. Er ruft sie zu sich. Er stellt sie in die Mitte, vor aller Augen. Er spricht sie frei und berührt sie so, dass sie sich unter seinen Händen aufrichtet. Ich stelle mir diese Szene bildlich vor. Unser Herr ruft sie. Komm zu mir. Was mag sie in dem Moment gedacht haben. Wie wird sie die paar Schritte durch die Reihen der Männer erlebt haben. Wie wird sie da vorne gestanden haben. Ich glaube, schon auf dem Weg zu Jesus hatte sie den Impuls, sich aufzurichten. Interessant auch, wie er sie anspricht. „Frau, du bist erlöst.“ Eine andere Übersetzung lautet: „Frau, lass ab von deiner Krankheit!“ (E. Drewermann, Das Lukasevangelium, Band II, S. 114) Diese Übersetzung finde ich genial. Nicht kommt die Lösung von außen, sondern von der Frau selbst. Sie soll loslassen.
Die Familientherapeutin Brigitte Lämmle sprach einst mit einer Frau, die viele Jahre ihren Missbrauch, den sie als Kind erlitt, bei verschiedenen Therapien immer wieder durcharbeitete. Sie litt seelisch unter den Erinnerungen, körperlich litt sie unter starken Rückenschmerzen. Wie kann es auch anders sein. Im Gespräch, das in einem Buch veröffentlicht wurde, fragt die Lämmle die Frau: „Wie lange willst du diesen Missbrauch für dich noch so lange missbrauchen, dass du am Leben nicht teilnehmen kannst?“
(B. Lämmle, Erklär mir deine Welt, S. 172)
Noch einmal: „Wie lange willst du diesen Missbrauch für dich noch so lange missbrauchen, dass du am Leben nicht teilnehmen kannst?“
Eine ganz provokante aber wunderbare Frage. Anders gesagt: „Du gehst von Therapie zu Therapie und immer wieder dreht sich alles um die Vergangenheit, die tiefe Verletzung. Gedanklich und körperlich bist du darin völlig eingesperrt. Wie lange willst du daran festhalten und am wirklichen Leben nicht teilnehmen?“ Oder mit Jesus gesagt: „Frau, lass ab von deiner Krankheit!“ Lass ab von den Verletzungen. Lass ab von der Vergangenheit.
Bei Erkrankungen, besonders im psychosomatischen Bereich, können wir fragen: Was ist der Krankheitsgewinn? Welche Bedürfnisse werden nicht gelebt und melden sich als Symptom? Als Verkrümmung, als Rückenschmerz? Wer bin ich eigentlich, wenn ich die Krankheit nicht mehr habe? Jesus hatte diese Sichtweise.
Lass ab von deiner Krankheit. Und die gekrümmte Frau kann sich davon lösen. Dies gelingt ihr aber nur im Gegenüber zu Jesus. Vor anderen Männern hatte sie ängstlich gekatzbuckelt. Jesu schenkt ihr ein Vertrauen in Gott und somit in sich selbst. Ja, Gottvertrauen und Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit gehören zusammen.
Jesu Worte könnten sei: So wie ich dich sehe, sieht auch Gott dich an. Voller Liebe und Güte. So wie ich dich berühre, so sanft berührt dich unser Vater im Himmel. So wie ich dich gerufen habe, so ruft dich unser Vater. Lass deinen dich verkrümmenden Gehorsam, deine Unterwerfung. Es ist dir erlaubt, dich aufzurichten, dich groß zu machen, in all deiner Schönheit und Würde. Und diese Erlaubnis gibt dir niemand anderes als du allein. Da guckt der Synagogenvorsteher aber blöd aus seinem Tallit, seinem Gebetsmantel. Er ist einer der Männer, die Angst haben, dass die kleinen Leute, Frauen allzumal, auf die Idee kommen könnten, keine kleinen Leute mehr zu sein. Die Gekrümmte ist an der Seite Jesu nun nicht mehr nur eine Frau, sondern Tochter des Höchsten, der sie mit Namen kennt und für die er das Reich der Himmel geöffnet hat. Nicht mehr im Hintergrund, nicht mehr abgeduckt, sondern sichtbar, aufrecht und stolz. Das ist das Bild des künftigen Menschen nach dem Marxisten Ernst Bloch, den ich eingangs erwähnte. Das ist das Bild des Menschen, das Gott von uns hat. Marxisten und Christen haben tatsächlich einige schöne Berührungspunkte.
Ich ende aber mit dem Gedicht des Pfarrers Kurt Marti: Der Rat der Rose
bleib aufrecht
rät die rose
zeig dornen
sei stolz
beuge dich
nur der liebe
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
"Kinder des Lichts" vom 21. Juli 24
Predigt Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Das Gedicht Geh aus, mein Herz, und suche Freud von Paul Gerhardt wurde 1653 veröffentlicht. Es ist bis heute eins der bekanntesten Gutelaunelieder unseres Gesangbuches. Die Naturbilder weisen hinaus auf den Schöpfer. Jede Biene, jedes Blatt, ist ein Bild für die Schöpfermacht des Herrn. Da wird Jubel laut. Obwohl die Zeit alles andere als zum Jubel anreizte. Der 30jährige Krieg hatte weite Teile des Landes verwüstet. Auch hier in Kröpelin litt die Bevölkerung große Not. Die großen Kriegsmächte zogen durchs Land, quartierten sich ein, plünderten, misshandelten und töteten … eine wahrlich böse Zeit. Paul Gerhardt hätte allen Grund gehabt, sein Herz zu verhärten. Er hatte den Krieg erlebt, Seuchen und Hungersnöte, - das war sein Leben. Von den insgesamt 5 Kindern überlebte nur der Sohn Paul Friedrich seine Eltern. Geh aus, mein Herz, und suche, suche, suche Freud. Wenn einer einen Grund hat zu jammern, dann er. Um dieses Lied von seiner Wurzel her zu versteh, müssen wir, wie bei vielen Deutungen, gleich in die erste Zeile schauen. Was also ist gerade der IstZustand? Trübsal, Depression, Trauer, Angst, Verzweiflung? Wir wissen es nicht genau. Die Freude soll jedenfalls erst gesucht werden, sie ist noch nicht da. Paul Gerhardt schickt sein Herz auf die Reise, nicht weil alles gut ist. Der Schwermut den Rücken kehren, dass ist seine Strategie. Wo das Herz in Gottes Vorgarten kommt, werden wir von Freude überwältigt. Das hat er erfahren und stimmt fröhlich ein. Achten wir noch einmal auf die erste Zeile. Es heißt dort nicht: „Ich denke mal drüber nach, ob ich Freude suchen will.“ Oder: „Wenn die Kinder aus dem Haus sind, dann geh ich Freude suchen.“ Oder eine Frau fragt sich: „Warum merkt mein Mann nicht, dass ich Freude suchen will. Der merkt ja so wie so nichts mehr.“ Paul Gerhardt legt los: Geh aus, mein Herz … es gibt keine Ausrede. Leben ist begrenzt und jeder Tag ist ein Geschenk Gottes. Einen Tag des Herrn vergeuden wäre wie ein Westpacket, das man ungeöffnet in den Müll wirft. 2 Eine Stimme in uns sagt vielleicht: „Bleib mit deinem gekränkten Herz zu Hause, bleib mit deinen Ängsten daheim. Lass dich bloß nicht von der „schönen Gärten Zier“ betören. Bleib auf der Couch, knabbre ´ne Tüte Chips, schaue dir einen Film mit Chuck Norris an, der eine Fünf-MinutenTerrine in 30 Sekunden zubereiten kann. Schimpfe über die Politiker, den Klimawandel, den Nachbarn. Konzentriere dich auf deine Probleme.“ So praktizieren es viele Artgenossen. Sie schaffen sich ein Leben voller Probleme. Sie verdunkeln ihre Gedanken selbst. Und mit den Gedanken ihre Gefühle. „Wenn wir etwas als Problem erleben, sind es nicht die Tatsachen, … die Bedingungen, die es zu einem Problem machen, sondern wir selbst sind es, die aus bestimmten …Situationen ein Problem konstruieren.“ (Renate Daimler, Basis der systemischen Strukturaufstellung, S. 71f) Dabei wissen wir ja seit John Lennon, dass es keine Probleme gibt, nur Lösungen. („…there's no problem only solutions, Watching the Wheels, John Lennon) Ich bin ein großer Freund von Verantwortung. Leben Sie Ihr Leben in Eigenverantwortung? Niemand ist schuld daran, wie es dir geht, nur du alleine. Meine Verantwortung ist es, für mich zu sorgen. Ich gebe auch gerne meiner Frau die Schuld, wenn kein Bier im Haus ist. Aber letztlich muss ich mich kümmern. „Wenn du leidest, ist es wegen dir. Wenn du glücklich bist, ist es wegen dir. Niemand ist dafür verantwortlich, wie es dir geht. Nur du allein.“ Osho Dieser Gedanke ist mir sehr wichtig, weil er uns die Verantwortung für unser Leben übergibt. Schuld, so denken viele, sind immer die anderen. Ein Alkoholiker trinkt, weil er es so schwer hat: in der Ehe, auf der Arbeit, mit den Kollegen. Es wird immer einen Grund geben, warum es mir schlecht geht. Der Grund bin ich. Es sind nicht die anderen. Und jetzt kommts: Du hast immer eine Wahl. Gehen und Freude suchen ist möglich, oder in Trübsal verfallen. Es ist deine Freiheit, deine Entscheidung. 3 Paul Gerhardt hat genau das erkannt. „Wenn ich hier sitzen bleibe, mich einigle, dann ist mir nicht mehr zu helfen. Dann stehe ich gleich mit Sogen auf und gehe mit schwerem Herzen ins Bett.“ Ein Team von Therapeuten gab seinen Patienten, wenn sie einen Termin ausmachte, eine Aufgabe: sie sollen bis zum Termin der ersten Sitzung bitte überlegen, was sie nicht ändern wollen, was in ihrem Leben gelingt, was schön ist. (nach Renate Daimler, Basics der Systemischen Strukturaufstellung, S. 72) „Hä?“, dachten vielleicht einige, „ich will doch an meinen Problemen arbeiten.“ Ne! Denk mal anders. Ich schaue nicht dahin, was ich ändern will, sondern was ich nicht ändern will. Und da gibt’s ganz viel Schönes, Lebendiges, Freudiges, in jedem Leben, auch in deinem. Der israelisch-amerikanischer Soziologe Aaron Antonovsky wertete 1970 eine Erhebung über die Anpassungsfähigkeit von Frauen aus. Eine Gruppe war 1939 zwischen 16 und 25 Jahre alt und hatte sich zu dieser Zeit in einem Konzentrationslager befunden. Trotz der unvorstellbaren Qualen der KZÜberlebenden, die anschließend ein Flüchtlingsdasein führten, gab es viele von diesen Frauen, die den Wissenschaftler verblüfften. Ein Drittel wurde als psychisch „gesund“ beurteilt. Alles Frauen, die über lange Zeit in Angst und Schrecken zubrachten, die oft Todesangst erlebten, die Schikanen und körperliche Gewalt erlebten. Ein völlig unerwartetes Ergebnis. Andere waren hochgradig traumatisiert. Warum aber diese Frauen nicht? Antonovsky brachte den Begriff der Salutogenese ins Feld der Wissenschaft. Er fragte nicht, was krank macht, sondern was hält den Menschen gesund? Ein ganz wunderbarer Ansatz. Es war die Einstellung der Frauen, es war ihre positive Sicht, ihre Hoffnung. Es würde hier jetzt zu weit führen, seine Ergebnisse auszuwerten. Spannend, kann ich ihnen sagen. Geh aus, mein Herz, und suche Freud … Antonovsky würde diese Zeile sicherlich unterstreichen. Den gleichen Ansatz finden wir auch in der Trilogie Herr der Ringe. Dort heißt der Ort, wo Kranke versorgt werden, nicht wie bei uns Krankenhaus, sondern Haus der Heilung. Toll. Haus der Fürsorge, Haus der Unterstützung, alles, nur nicht Krankenhaus. Im Englischen ist es das Hospital, das Haus des Gastes. Haus der Heilung heißt nicht, dass allen garantiert wird, mit dem Leben davonzukommen. Auch der Tod kann heilsam sein kann, wenn er im Glauben angenommen wird. Dazu dann demnächst mehr. 4 Schätzungsweise 80 Prozent der Menschen glauben an eine höhere Macht oder einen Gott. Woher kommt diese Religiosität? Einem Team aus Forschenden in den USA ist es gelungen, die Stelle im Gehirn zu benennen, wo die Spiritualität verankert ist. Die Spiritualität sitzt, evolutionär gesehen, in einem sehr alten Teil unseres Gehirns, nämlich im Hirnstamm. Dort sind vor allem überlebenswichtige Funktionen verortet. Das passt zu einer These aus der Psychologie, die besagt, dass Religion beziehungsweise Spiritualität helfen kann, das Bedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen. Sicherheit zählt zu den menschlichen Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken und Schlafen. Atheisten nutzen einfach nicht ihr geistiges und schon gar nicht ihr geistliches Potenzial. Ich wusste es ja schon immer. Und: Atheismus schafft Unsicherheit. Davon profitieren die Versicherungen. Religion, besonders die christliche, hat es mir ja angetan. Ich finde Jesu einfach genial. Und da finde ich in dem Lied ganz viel, das meine Freude herauslockt. Heißt es doch in der letzten Strophe: 15) Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen, so will ich dir und deiner Ehr allein und sonsten keinem mehr hier und dort ewig dienen, hier und dort ewig dienen. Die größte Freude, die wir besonders in Gottesdiensten teilen können, ist die Vorfreude. Das ist ein Herzstück des Glaubens, die Vorfreude auf den Tag, da wir vor unserem Herrn und Vater stehen. Er wird uns vergeben, dem einen mehr, dem anderen weniger. Nach gestern Nacht einigen noch mehr. (Partynacht anlässlich der 775 Jahre seit Gründung der Stadt Kröpelin). Er wird uns in seine Arme nehmen, unsere Tränen trocknen, unsere Wunden heilen, und wir werden dann nicht mehr nur im Vorgarten wandeln, sondern im Paradies, im Land der ewigen Freude. Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
"Geh aus mein Herz und suche Freud" vom 2. Juli 24
Predigt Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Das Gedicht Geh aus, mein Herz, und suche Freud von Paul Gerhardt wurde 1653 veröffentlicht. Es ist bis heute eins der bekanntesten Gutelaunelieder unseres Gesangbuches. Die Naturbilder weisen hinaus auf den Schöpfer. Jede Biene, jedes Blatt, ist ein Bild für die Schöpfermacht des Herrn. Da wird Jubel laut. Obwohl die Zeit alles andere als zum Jubel anreizte. Der 30jährige Krieg hatte weite Teile des Landes verwüstet. Auch hier in Kröpelin litt die Bevölkerung große Not. Die großen Kriegsmächte zogen durchs Land, quartierten sich ein, plünderten, misshandelten und töteten … eine wahrlich böse Zeit. Paul Gerhardt hätte allen Grund gehabt, sein Herz zu verhärten. Er hatte den Krieg erlebt, Seuchen und Hungersnöte, - das war sein Leben. Von den insgesamt 5 Kindern überlebte nur der Sohn Paul Friedrich seine Eltern. Geh aus, mein Herz, und suche, suche, suche Freud. Wenn einer einen Grund hat zu jammern, dann er. Um dieses Lied von seiner Wurzel her zu versteh, müssen wir, wie bei vielen Deutungen, gleich in die erste Zeile schauen. Was also ist gerade der IstZustand? Trübsal, Depression, Trauer, Angst, Verzweiflung? Wir wissen es nicht genau. Die Freude soll jedenfalls erst gesucht werden, sie ist noch nicht da. Paul Gerhardt schickt sein Herz auf die Reise, nicht weil alles gut ist. Der Schwermut den Rücken kehren, dass ist seine Strategie. Wo das Herz in Gottes Vorgarten kommt, werden wir von Freude überwältigt. Das hat er erfahren und stimmt fröhlich ein. Achten wir noch einmal auf die erste Zeile. Es heißt dort nicht: „Ich denke mal drüber nach, ob ich Freude suchen will.“ Oder: „Wenn die Kinder aus dem Haus sind, dann geh ich Freude suchen.“ Oder eine Frau fragt sich: „Warum merkt mein Mann nicht, dass ich Freude suchen will. Der merkt ja so wie so nichts mehr.“ Paul Gerhardt legt los: Geh aus, mein Herz … es gibt keine Ausrede. Leben ist begrenzt und jeder Tag ist ein Geschenk Gottes. Einen Tag des Herrn vergeuden wäre wie ein Westpacket, das man ungeöffnet in den Müll wirft. 2 Eine Stimme in uns sagt vielleicht: „Bleib mit deinem gekränkten Herz zu Hause, bleib mit deinen Ängsten daheim. Lass dich bloß nicht von der „schönen Gärten Zier“ betören. Bleib auf der Couch, knabbre ´ne Tüte Chips, schaue dir einen Film mit Chuck Norris an, der eine Fünf-MinutenTerrine in 30 Sekunden zubereiten kann. Schimpfe über die Politiker, den Klimawandel, den Nachbarn. Konzentriere dich auf deine Probleme.“ So praktizieren es viele Artgenossen. Sie schaffen sich ein Leben voller Probleme. Sie verdunkeln ihre Gedanken selbst. Und mit den Gedanken ihre Gefühle. „Wenn wir etwas als Problem erleben, sind es nicht die Tatsachen, … die Bedingungen, die es zu einem Problem machen, sondern wir selbst sind es, die aus bestimmten …Situationen ein Problem konstruieren.“ (Renate Daimler, Basis der systemischen Strukturaufstellung, S. 71f) Dabei wissen wir ja seit John Lennon, dass es keine Probleme gibt, nur Lösungen. („…there's no problem only solutions, Watching the Wheels, John Lennon) Ich bin ein großer Freund von Verantwortung. Leben Sie Ihr Leben in Eigenverantwortung? Niemand ist schuld daran, wie es dir geht, nur du alleine. Meine Verantwortung ist es, für mich zu sorgen. Ich gebe auch gerne meiner Frau die Schuld, wenn kein Bier im Haus ist. Aber letztlich muss ich mich kümmern. „Wenn du leidest, ist es wegen dir. Wenn du glücklich bist, ist es wegen dir. Niemand ist dafür verantwortlich, wie es dir geht. Nur du allein.“ Osho Dieser Gedanke ist mir sehr wichtig, weil er uns die Verantwortung für unser Leben übergibt. Schuld, so denken viele, sind immer die anderen. Ein Alkoholiker trinkt, weil er es so schwer hat: in der Ehe, auf der Arbeit, mit den Kollegen. Es wird immer einen Grund geben, warum es mir schlecht geht. Der Grund bin ich. Es sind nicht die anderen. Und jetzt kommts: Du hast immer eine Wahl. Gehen und Freude suchen ist möglich, oder in Trübsal verfallen. Es ist deine Freiheit, deine Entscheidung. 3 Paul Gerhardt hat genau das erkannt. „Wenn ich hier sitzen bleibe, mich einigle, dann ist mir nicht mehr zu helfen. Dann stehe ich gleich mit Sogen auf und gehe mit schwerem Herzen ins Bett.“ Ein Team von Therapeuten gab seinen Patienten, wenn sie einen Termin ausmachte, eine Aufgabe: sie sollen bis zum Termin der ersten Sitzung bitte überlegen, was sie nicht ändern wollen, was in ihrem Leben gelingt, was schön ist. (nach Renate Daimler, Basics der Systemischen Strukturaufstellung, S. 72) „Hä?“, dachten vielleicht einige, „ich will doch an meinen Problemen arbeiten.“ Ne! Denk mal anders. Ich schaue nicht dahin, was ich ändern will, sondern was ich nicht ändern will. Und da gibt’s ganz viel Schönes, Lebendiges, Freudiges, in jedem Leben, auch in deinem. Der israelisch-amerikanischer Soziologe Aaron Antonovsky wertete 1970 eine Erhebung über die Anpassungsfähigkeit von Frauen aus. Eine Gruppe war 1939 zwischen 16 und 25 Jahre alt und hatte sich zu dieser Zeit in einem Konzentrationslager befunden. Trotz der unvorstellbaren Qualen der KZÜberlebenden, die anschließend ein Flüchtlingsdasein führten, gab es viele von diesen Frauen, die den Wissenschaftler verblüfften. Ein Drittel wurde als psychisch „gesund“ beurteilt. Alles Frauen, die über lange Zeit in Angst und Schrecken zubrachten, die oft Todesangst erlebten, die Schikanen und körperliche Gewalt erlebten. Ein völlig unerwartetes Ergebnis. Andere waren hochgradig traumatisiert. Warum aber diese Frauen nicht? Antonovsky brachte den Begriff der Salutogenese ins Feld der Wissenschaft. Er fragte nicht, was krank macht, sondern was hält den Menschen gesund? Ein ganz wunderbarer Ansatz. Es war die Einstellung der Frauen, es war ihre positive Sicht, ihre Hoffnung. Es würde hier jetzt zu weit führen, seine Ergebnisse auszuwerten. Spannend, kann ich ihnen sagen. Geh aus, mein Herz, und suche Freud … Antonovsky würde diese Zeile sicherlich unterstreichen. Den gleichen Ansatz finden wir auch in der Trilogie Herr der Ringe. Dort heißt der Ort, wo Kranke versorgt werden, nicht wie bei uns Krankenhaus, sondern Haus der Heilung. Toll. Haus der Fürsorge, Haus der Unterstützung, alles, nur nicht Krankenhaus. Im Englischen ist es das Hospital, das Haus des Gastes. Haus der Heilung heißt nicht, dass allen garantiert wird, mit dem Leben davonzukommen. Auch der Tod kann heilsam sein kann, wenn er im Glauben angenommen wird. Dazu dann demnächst mehr. 4 Schätzungsweise 80 Prozent der Menschen glauben an eine höhere Macht oder einen Gott. Woher kommt diese Religiosität? Einem Team aus Forschenden in den USA ist es gelungen, die Stelle im Gehirn zu benennen, wo die Spiritualität verankert ist. Die Spiritualität sitzt, evolutionär gesehen, in einem sehr alten Teil unseres Gehirns, nämlich im Hirnstamm. Dort sind vor allem überlebenswichtige Funktionen verortet. Das passt zu einer These aus der Psychologie, die besagt, dass Religion beziehungsweise Spiritualität helfen kann, das Bedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen. Sicherheit zählt zu den menschlichen Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken und Schlafen. Atheisten nutzen einfach nicht ihr geistiges und schon gar nicht ihr geistliches Potenzial. Ich wusste es ja schon immer. Und: Atheismus schafft Unsicherheit. Davon profitieren die Versicherungen. Religion, besonders die christliche, hat es mir ja angetan. Ich finde Jesu einfach genial. Und da finde ich in dem Lied ganz viel, das meine Freude herauslockt. Heißt es doch in der letzten Strophe: 15) Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen, so will ich dir und deiner Ehr allein und sonsten keinem mehr hier und dort ewig dienen, hier und dort ewig dienen. Die größte Freude, die wir besonders in Gottesdiensten teilen können, ist die Vorfreude. Das ist ein Herzstück des Glaubens, die Vorfreude auf den Tag, da wir vor unserem Herrn und Vater stehen. Er wird uns vergeben, dem einen mehr, dem anderen weniger. Nach gestern Nacht einigen noch mehr. (Partynacht anlässlich der 775 Jahre seit Gründung der Stadt Kröpelin). Er wird uns in seine Arme nehmen, unsere Tränen trocknen, unsere Wunden heilen, und wir werden dann nicht mehr nur im Vorgarten wandeln, sondern im Paradies, im Land der ewigen Freude. Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
"Thomas der Zweifler" vom 7. April 24
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Karl Marx sagte: „Religion ist Opium des Volkes.“ Wenn man diesen Gedanken weiterführt, dann sind Kirchen also Opiumhöhlen. Dann ist jeder Gottesdienst so etwas wie ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Übrigens: Der Führer der russischen Bolschewisten, Wladimir Lenin, wandelte das Zitat zu „Religion ist Opium für das Volk“ um: Damit veränderte er das Zitat zu einer Anschuldigung gegen die Kirche, die – so Lenin – das Volk einlulle.
Der Jünger Thomas war keiner, der sich hat einlullen lassen. Er wollte es wissen.
„Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben.“ Mit diesem Spruch ging Thomas als Thomas der Zweifler in die Geschichte ein.
Wie ist es um die Zweifel bestellt? Ich möchte da mal aus dem Nähkästchen erzählen.
Als ich mich im frischen Jugendalter immer mehr auf Gott und die Kirche einließ, da sagte ich irgendwann ganz JA. Ich glaube! Und dann wurde ich nach einigen Gesprächen mit dem Pastor meiner Gemeinde konfirmiert. Es gab für mich keine Zweifel an der Wahrheit der Bibel. Nichts konnte mich wirklich erschüttern. Als ich zum Studium der Theologie ging, war ich glaubensmäßig voll fit. Selbst wenn mir ein Engel erschienen wäre und hätte gesagt, dass das mit Jesus und den Wundern nur ein Scherz war, hätte das in mir nichts geändert. Ich glaubte. War ein tolles Gefühl.
Im Studium dann die geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten. Eine Kommilitonin fragte mich mal nach dem Seminar: „Sag mal, glaubst du eigentlich an die Auferstehung?“ Hä? Was? Ich sagte damals: „Natürlich! Eine andere Wahrheit gibt es nicht!“ Ganz klar. Wie konnte man nur Theologie studieren und nicht an die Auferstehung glauben? Komische Frau, dachte ich. Die hat sie doch nicht alle. Hoffentlich wird die nicht Pastorin.
Ich war damals wohl etwas überheblich, was meinen unerschütterlichen Glauben betraf. Dabei sollte es nicht bleiben. Die Dozenten brachten uns im Studium die Textkritik bei. Alles wurde historisch-kritisch hinterfragt und gedeutet. Ist Jesus wirklich in Bethlehem geboren? Viele behaupten es anders. Wie ist das mit der Jungfrau Maria? Ich hatte Jahre damit zu tun, den Heiligen Geist irgendwie auf die Glaubensreihe zu bekommen. Es half mir auch nicht wirklich, dass der Geist im Hebräischen weiblich ist – Ruach. Das gab vielen einen anderen Zugang zu Gott, der meistens ja sehr männlich gedacht wird. Aber mir blieb das Geheimnis um den Heiligen Geist verschlossen.
Und dann die zutiefst verwirrende Frage: War das Grab Jesu wirklich leer? Ist die Auferstehung nur eine fromme Legende? Theologieprofessor Gerd Lüdemann spricht vom „großen Betrug“. Der Glaube an die Auferstehung sind „Projektionen, Wünsche und Visionen“, mehr nicht.
Die Heilige Schrift verlor für mich nach und nach ihre unantastbare Heiligkeit. Der Glaubensboden fing an zu wanken.
Ich hatte die Schnauze voll von Theologie. Dann doch lieber wieder auf die Lok. Ich spürte Zweifel und die machten mir Angst. Auferstehung, Heilungen, Wunder... Ist denn nichts mehr wahr?
Ganz unbemerkt kletterte mein Glaube vom Herzen in den Kopf. So wurde ich Theologe.
Als ich Pastor sein durfte und mir eine Gemeinde anvertraut wurde, ging es an die Substanz. Ich musste nun anderen ständig vom Glauben erzählen und sie im Glauben stärken, trösten, ermutigen. Jeden Sonntag eine neue Predig. In der Öffentlichkeit eine Amtsperson, die für Kirche und Glauben steht. In mir sah es oft anders aus.
Man kann nicht immer vom Glauben reden, man muss Erfahrungen damit machen. Sonst brennt man aus und redet nur noch verkopftes Zeug, ohne Herz, ohne persönliches Berührt-sein.
Es gab einen Moment, den ich nie vergesse. Ich fuhr mit dem Auto durch die Gemeinde, von einem Termin zum nächsten. Ich hatte den ganzen Tag im „Weinberg unseres Herrn“ gearbeitet. Da geschah es, dass sich vor mir wie ein schwarzes Loch auftat. Und sofort war da die nackte Angst: „Du bist leer. Da ist kein Vertrauen mehr in Gott.“
Können sie sich die Angst vorstellen? Als Pastor zweifeln und leer sein. Das ist, als bekäme ein Fallschirmspringer Höhenangst.
Ich rief einen alten Freund und Weggefährten an, der Pfarrer im Süden war. Ich erzählte ihm mein Problem. Er sagte nur: „Nimm dir 3 Tage Zeit und komm her.“ Es waren wundervolle Tage. Wir gingen viel spazieren, redeten und schwiegen. Und vor allem, was das absolut Wichtigste war, wir beteten sehr viel miteinander. Im Gebet fand ich wieder zurück zu Gott. Es war unglaublich. Mein Glaube fing an zu rutschen, nämlich vom Kopf wieder zurück ins Herz. Da, wo er auch hingehört.
Jemand sagte mal: „Glaube ist ohne Gebet und Gemeinschaft wie ein Glas Wasser in der Sonne, er verdunstet.“ So ist es wohl.
Jesus meint: „Selig, die geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.“ Wer zu seiner eigenen
geistlichen Armut stehen kann, dem ist Großes verheißen.
Schauen wir mal auf die Jünger Jesu. Wie oft musste er seine Leute zusammenstauchen: Ihr Kleingläubigen!! Und fast schon an Verzweiflung grenzend fragt er: Habt ihr noch keinen Glauben?! So können wir immer wieder lesen. Und doch gehörten diese zu seinen engsten Vertrauten. Genau diesem Haufen von Kleingläubigen vertraut er seine Kirche an. Da ist auch nicht ein Glaubensheld dabei. Ein Haufen von Zweiflern, Angsthasen, Feiglingen, Verrätern und Leugnern. Und genau das ist es! Ich bin einer von ihnen. Kein Mensch muss sich seiner Zweifel schämen. Du Kleingläubiger, komm in unsere Mitte.
Glaube und Zweifel gehören einfach zusammen.
Ich denke da an Agnes. Agnes glaubte von klein auf an Gott. Und sie glaubte nicht nur – sie war regelrecht Feuer und Flamme. Sie wollte Großes für Gott tun. Sie sagte, sie wollte „Jesus lieben, wie er noch nie zuvor geliebt worden war“. Sie wusste sich von ihm berufen. In ihr Tagebuch schrieb sie: „Ich erlebe zurzeit tiefen Frieden und große Freude.“ Sie verließ ihr Zuhause, wurde Missionarin und gab ihr ganzes Leben für Gott.
Und dann verließ sie Gott. So kam es ihr vor. „Wo ist mein Glaube geblieben?“, fragt sie sich immer wieder. „Selbst ganz tief in mir drinnen gibt es nichts als Leere und Dunkelheit...Mein Gott, ich habe bislang noch nie so schlimme Schmerzen erlebt...Ich habe keinen Glauben mehr.“
Sie versuchte zu beten: „Ich stammle Worte von bekannten Gebeten...Aber ich bin im Gebet nicht länger eins mit ihm. Ich bete nicht länger.“ Nach außen arbeitete, diente, lächelte sie.
Diese innere Finsternis, die geistliche Trockenheit dauerten an, Jahr für Jahr, mit nur kurzen Unterbrechungen – und das fast fünfzig Jahre lang. Das war der geheime Schmerz von Agnes, besser bekannt als „Mutter Teresa“. Die Briefe, die ihre inneren Qualen beschrieben, waren zu ihren Lebzeiten ein Geheimnis. Doch es ist etwas Merkwürdiges geschehen. So wie sie im Leben eine Dienerin der Armen war, so wurde sie in ihrer Seelenqual zu einer Missionarin für Zweifler.
Durch Zweifel, so kann ich es heute sagen, wurde mein Glaube erschütterbarer, verletzbarer, aber sicher auch barmherziger und menschlicher. Wir sollten unsere Zweifel anschauen und mit aufnehmen in unser Glaubenskonzept. Und immer wieder beten: „Stärke meinen Glauben, mein Herr und mein Gott.“
Zweifeln ist ein Zeichen dafür, dass man noch Potenzial zum Wachsen hat. Und vor Gott sind wir nie ausgewachsen, sondern Kinder - ein Leben lang.
Heute kann ich auf die Frage: „Sag mal, glaubst du an die Auferstehung“, mit glaubendem Zweifel und zweifelnder Zuversicht sagen: „Ja, das tue ich.“ Meine Seele sucht nicht mehr nach Antworten. Ich konnte loslassen und mehr meinem Herzen trauen als meinem Verstand. Es gibt für mich eine Wahrheit, die mir etwas anderes aufschließt, als das Erkennbare. Bethlehem, wo auch immer das sein mag, wenn nicht im Herzen, dann ist der Ort ein Nirgendwo. Maria, die Mutter des Herrn, eine so starke und wundervolle Frau. Ihr Lobgesang, das Magnifikat, ist revolutionär. Es ist gut, sie zu ehren. Und der Heilige Geist? Ohne diese Kraft möchte ich keinen einzigen Tag durchhalten müssen.
Für mich hat unser Glaube eine bezaubernde Schönheit. Meine Seele ist gefüllt mit Geschichten voller Hoffnung, die bewahrt sind in der Heiligen Schrift. Sie sind wie eine innere Geborgenheitsstruktur. Eine Seele, die keine Geschichten der Hoffnung kennt, erstarrt und bleibt leer. Und sie wird manipulierbar, blendbar, verführbar. Die Leere braucht Besitz und Konsum.
Liebe Gemeinde, manchmal ist mein Herz glaubensmüde. Dann ist es gut, mit anderen seinen Glauben zu bekennen. Dann spricht meine Zunge mehr, als mein Herz gerade fühlt. Aber das gemeinsame Bekenntnis trägt mich durch die Wüste der Zweifel hindurch, bis mein Glaube wieder eine Oase des Vertrauens gefunden hat. Deshalb ist mir das gemeinsame Gebet und Bekenntnis so wichtig, die Gemeinschaft im Gottesdienst. Allein verdunstet der Glaube wie Wasser in der Sonne.
Und nun möchte ich sie alle einladen, alle Glaubensfesten und alle Kleingläubigen, alle Leugner und Zweifler, unseren christlichen Glauben zu bekennen, ob vollmundig oder halbherzig, und uns dazu zu erheben.
Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott, den Vater,
den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.
Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Ostersonntag , 31. März 24
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Georg Orwell erinnert sich an einen grausamen Scherz, den er einst mit einer Wespe getrieben hatte.
„Sie leckte Marmelade von meinem Teller, und ich schnitt sie entzwei. Sie achtete gar nicht darauf, sondern fuhr einfach fort mit ihrem Mahl, während ein spärlicher Strom Marmelade aus ihrer abgetrennten Speiseröhre rann. Erst als sie dann zu fliegen versuchte, merkte sie, was mit ihr Schreckliches geschehen war. Genau so ergeht es dem modernen Menschen. Was weggeschnitten worden ist, ist seine Seele …“ Soweit Orwell.
Grausam, aber eindrücklich! Und seine Deutung ist erschütternd: Der konsumierende Mensch ohne Seele. Sie genießen die Marmelade und merken gar nicht, was ihnen angetan wurde.
Der halbierte Mensch ohne Seele. Hier im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern erschütternde Realität. Jemand bezeichnete diesen Landstrich mal als Epizentrum des Atheismus.
Auf einer Rüstzeit mit Soldaten sprachen wir viel über den christlichen Glauben und über eine Menge Hoffnung, diese gefährliche, die sogar den Tod für besiegt hält. Unsere funkenschlagende Hoffnung in Jesus Christus.
Reaktionen der Soldaten: „So ein Quatsch! Wenn es vorbei ist, ist es vorbei.“ „Ab ins Grab, zwei, drei Tränen abdrücken, und dann ist gut.“ Ein anderer: „Mir ist das alles egal. Wenn ich weg bin, dann können die
mit mir machen, was sie wollen. Meine Organe … alles raus damit.“ Ich höre solche Äußerungen mit einer inneren Unruhe. Halbierte Menschen, denen der Zugang zur Hoffnung fehlt. Da ist nicht einmal mehr ein glimmernder Funke. Völlige Finsternis.
Dann kommt mir Berthold Brecht in den Sinn und meine innere Unruhe wächst. Er behauptet:
Lasst euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
…
Lasst euch nicht verführen
…
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.
Wir von der Kirche sind also Verführer. Auch hier ist kein Funken Hoffnung. Seelenlose Halbwesen. Abgeschnittene … es kommt nichts nachher …
Viele Menschen rechnen nur noch mit dieser irdischen Lebenszeit. Und in dieser wollen sie das optimale leidfreie Glück. Und immer mehr Marmelade. Der Tod kommt in der verrückten Wahrnehmung der Leute fast ausschließlich nur noch „plötzlich und unerwartet“. Selbst bei der Oma, die 90 wurde.
Der Tod wird als Niederlage, als ein Versagen erlebt.
Das Leben ist anders! Es ist brüchig und wir Menschen sind sehr verwundbar. Manchmal ist das Leben zum Verzweifeln! Und: Wir sind endlich. Ups! Sorry! Der Tod gehört zum Leben.
Ich denke, wer liebt, der hat auch einen Zugang zur Hoffnung. Der drückt nicht nur zwei, drei Tränen ab und dann ist gut. Dem ist nicht alles egal. Wir sehnen uns nach einer Bleibe jenseits der Gräber. So hoffen wir für unsere Lieben und auch für uns.
Was gibt uns Halt an den Grenzen des Lebens? „Ihr sterbt mit allen Tieren, es kommt nichts nachher …“ Diese Sprache ist unbarmherzig.
In einem sozialen Netzwerk las ich von Emilia.
Hallo zusammen!
Ich weiß nicht mit wem ich darüber reden könnte, deswegen habe ich mich diesem Forum angeschlossen.
Mein Problem ist, das ich extrem Angst habe vor dem Tod! Das schlimmste daran ist für mich diese Endgültigkeit! Dass es kein Zurück mehr gibt, das man sich für immer von einem Menschen den man liebt verabschieden muss und nie wieder sieht! Dieser Gedanke macht mich krank!
Ich mache mir einfach zu viele Gedanken darüber, das war schon immer so! Für mich gibt es einfach nichts schlimmeres im Leben!
Wie soll ich nur lernen damit umzugehen?
LG Emilia
Emilia ist noch nicht halbiert. Sie betäubt sich auch nicht mit Marmelade. Sie spürt ihre extreme Angst. „Wie soll ich nur lernen damit umzugehen?“
Gott sei Dank hat nicht so jemand wie Brecht geantwortet. Sondern ein einfühlsamer Mensch mit zumindest einem Funken Hoffnung. Er schreibt:
„Wäre es nicht schönster Wunsch, erfüllt, mit einem Lächeln im Gesicht, nach einem langen, erfüllten Leben zu sterben und zu wissen, dass man heimgeht?“
Lächelnd nach einem langen Leben heimgehen … Wir wissen, dass es oft anders ist: schmerzvoll und auch schon in jungen Jahren.
Aber wir gehen nach Hause. Das ist unserer Hoffnung. Das ist der Jubelruf, der seit Ostern durch die Nacht des Todes tönt.
Der Mecklenburger Dichter Fritz Reuter, der hier natürlich auch noch kommen muss, schrieb seinen eigenen Grabspruch:
Der Aufgang, das Ende,
o Herr, sie sind dein.
Die Spanne dazwischen,
das Leben, war mein.
Und irrt ich im Dunkeln
und fand mich nicht aus,
bei dir, Herr, ist Klarheit,
und licht ist dein Haus.
Es ist Ausdruck der Selbst- und Nächstenliebe, so zu hoffen. Möge es doch einen Ort geben, der besser ist, da Schmerzen gelindert und Tränen getrocknet werden. Diese Hoffnung ist barmherzig, freundlich und zutiefst menschlich. Sie ist keine Verführung. Menschen, die aus dieser Hoffnung leben, brauchen nicht immer mehr „Marmelade“. Diese Hoffnung ist der einzige wahre Trost dieser Welt. Sie beruhigt die Angst der Emilia und all jener, die noch nicht halbiert sind. Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voll großer Zuversicht. So meint es Paulus. Dem schließe ich mich heute und alle Tage herzlich an. Denn es kommt etwas nachher! Etwas wirklich Wunderbares! Wir werden sehen. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unserer Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Karfreitag, 29. März 24
Predig
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Ich möchte heute mit ihnen zurückschauen in die „stille Woche“. Jesu Weg bis zum Kreuz. Denn das ist auch unser Weg.
Mit Palmsonntag ging es los. Wir sind in Jerusalem. Mit Palmwedeln haben wir Jesu dort jubelnd begrüßt. Hosianna. Auch wir kennen Zeiten, in denen wir jubeln und ausgelassen sind. Man wird getragen von der Welle des Ruhms, des Glücks, der beschwingten Heiterkeit. Wir lieben diese Hosianna-zeiten des Lebens.
Jesus ging in Jerusalem zum Tempel. Er sieht die Geldwechsler und Händler. Sie profitieren von den Leuten, die hier her zum Gebet kommen. Jesus ist wütend und jagt die Händler und Wechsler raus. „Mein Haus soll ein Bethaus sein. Ihr habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“ Im Johannesevangelium heißt es: „Ihr habt daraus ein Kaufhaus gemacht.“ Das gefällt mir noch besser.
Was ist uns die Kirche? Ist sie Bethaus, eine Räuberhöhle oder ein Kaufhaus? Von allem etwas, denke ich.
Wir kommen zu Gründonnerstag. Ich sehe Jesus im Kreis seiner Gefolgsleute in einem Raum. Lichter brennen. Noch einmal miteinander essen und trinken. Brot und Wein stehen bereit. So wie heute hier bei uns. Jesus spricht seine berühmten Worte, als er das Brot nimmt: „Das ist mein Leib“ … und der Wein ist sein Blut. Wer kann diese Worte verstehen? Sie bleiben geheimnisvoller Glaube.
Unter ihnen ist einer, genannt Judas, ein Vertrauter Jesu. Sie sitzen an einem Tisch, dennoch verrät Judas seinen Herrn. Was hat ihn, den Freund, dazu getrieben? War er enttäuscht, oder einfach nur böse oder gierig. 30 Silberlinge bekommt er von denen, die Jesus nach dem Leben trachten. Die Konfirmanden schauten gleich nach, wieviel 30 Silberlinge heute wert sind: 10.000 €. Guter Stundenlohn. Was aber ist mit diesem Judas? Lebt er auch unter uns? Lebt er nicht viel mehr auch in uns? Ich frage mich: Wann habe ich Jesus verraten? Oder einen Freund? War ich immer treu im Glauben? Hat Jesus auch mich manchmal enttäuscht? Gläubige leiden genauso wie Ungläubige. Dann doch lieber das Geld nehmen und die Sau rauslassen. Ich sage es noch einmal, wie schon am Gründonnerstag: Judas sitzt mit am Tisch des Herrn. Wenn wir nachher Abendmahl feiern, gehört er dazu. Neben uns und in uns.
Nach dem gemeinsamen Mahl geht Jesus hinaus in den Garten Gethsemane. Angst überkommt ihn. Er betet. Er ist einsam. Seine Jünger Petrus, Johannes und Jakobus bittet er, mit ihm zu wachen in dieser Nacht. Doch schlafen sie ein. Nicht eine Stunde konnten sie mit ihm wachen.
Halte ich durch. Bete ich für andere? Oder bin ich zu müde geworden, weil ich ja doch nichts ändern kann?
Wie sehr ist diese Geschichte tatsächlich auch die unsere.
Gethsemane, der Schicksalsgarten. Der Mond wirft seine dunklen Schatten. Von Judas geführt kommen die Häscher, Jesus zu ergreifen. Jesus wird abgeführt wie ein Verbrecher. Noch in derselben Nacht kommt er vor den Hohen Rat. Er wird verhört, angeklagt. Da geben viele gegen Jesus ein falsches Zeugnis. Sie Lügen, um einen Grund für seine Verurteilung zu finden.
Bin auch ich ein falscher Zeuge? Wann war ich an einer Intrige beteiligt? Habe ich einem Kollegen, einer Kollegin das Leben schwergemacht?
Und da, noch ein Freund, Petrus, der immer zu Jesus stand und ihn auf allen Wegen begleitet hat. „Ich folge dir bis in den Tod“, tönte er einst. Er steht allein im Hof, an einem Feuer und wärmt sich in jener Nacht. Er sah, wie sein Herr aus dem Garten abgeführt wurde. Dann wird er angesprochen. „Du bist doch auch einer von denen, die mit Jesus unterwegs waren.“ - „Nein! Das stimmt nicht. Ich kenne diesen Mann gar nicht.“ Petrus fürchtet um sein Leben. Die Angst macht ihn zum Feigling. Noch 2x wird er leugnen, Jesus zu kennen. Dann erinnert er sich an Jesu Worte: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnet haben.“ Petrus läuft fort und fängt an, bitterlich zu weinen.
Ich frage: Stehen wir immer zu unserem Glauben? Wie war das damals in der DDR? Wie ist es heute, im Alltag, unter Atheisten? Würde ich mich zu Christus bekennen in:
Nordkorea, wo Christen und ihre Nachkommen als „feindlich“ eingestuft werden. Open Doors schätzt, dass sich Zehntausende Christen unter schrecklichen Bedingungen in Arbeitslagern befinden.
Somalia, wo ich meinen Glauben nur heimlich leben kann?
Pakistan, wo z.B. Christinnen mit Muslimen zwangsverheiratet werden?
Jemen, wo die Christen zwischen den Fronten der Sunniten und Schiiten geraten sind?
Oder Eritrea, Libyen, Irak, Iran …? Hier gehen gewaltbereite Islamisten immer wieder gegen Christen vor.
Petrus, ich kann deine Angst verstehen.
In einer Demokratie mit verfasster Religions-freiheit sich zu Christus zu bekennen, ist leicht.
Jesus kommt vor Pontius Pilatus, dem römischen Stadthalter. Der hat das Sagen, die Römer herrschen im Lande und halten es besetzt. Er nun soll das Urteil über Jesus sprechen. Weswegen? Hochverrat? Aufruhr? Der Unschuldig erfährt die ganze Härte der Mächtigen: Kreuzigung. Das Urteil wird gleich vollstreckt. Keine Gnade. Pilatus wäscht seine Hände. Er will mit diesem Tod des Mannes aus Nazareth nichts zu tun haben.
Können wir uns immer reinwaschen? Wo werden wir mitschuldig am Leiden anderer?
Auf dem Weg zur Hinrichtung muss Jesus sein Kreuz selber tragen. Doch er bricht zusammen. Simon von Kyrene muss ihm helfen. Endlich eine Hand, die ihm Gutes tut.
Ich sehe viele Menschen vor mir, die gebeugt sind von Sorgen, vom Schmerz, von Schuld, von Trauer … Es sind so viele. Bin ich ihnen ein Simon von Kyrene? Helfe ich das Kreuz der Menschen zu tragen?
Dann, Golgatha. Ort der Qualen. Jesus schreit am Kreuz zu Gott: „Warum hast du mich verlassen?“ Seine Freunde sind fast alle weggelaufen. Nur seine Mutter nicht und Maria von Magdala und Johannes. Sie stehen unterm Kreuz, sind da, als er sagt: „Es ist vollbracht.“ Sein Tod war für sie wie ein Stich ins Herz.
Was tue ich in schweren Situationen? Halte ich mit aus, dort, im Schatten des Kreuzes? Meide ich das Leid anderer, gehe ich zu den Sterbenden. Maria verliert ihren Sohn. Ein Schmerz, den nur Eltern kennen, die auch ein Kind verloren haben. Haben diese einen Platz bei uns? Oder ist unsere Kirche mehr damit beschäftigt, sich politisch zu formieren, zu gendern, Gebäude zu erhalten, die Pensionen zu sichern?
Die Geschichte ist hier unterm Kreuz noch nicht zu ende. Wie es weitergeht, davon erfahren wir zu Ostern.
Die Geschichte durchkreuzt unser Leben. Judas, der Verräter, Petrus, der großspurige Feigling, die schlafenden Jünger, die falschen Zeugen, die Spötter, Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht … sie alle gehören zur Gemeinschaft der Heiligen, sie gehören auch in unsere Gemeinde, sind ein Teil auch unseres Lebens. Und besonders wichtig ist mir die Einsicht: Sie verkörpern Anteile auch meiner Seele. Sie sind eher mein Schatten, die Teile, die schuldig werden an anderen und vor Gott. Ich darf um Vergebung bitten für meine Feigheit, meinen Verrat, für meine Müdigkeit. Aber auch Simon von Kyrene und Maria von Magdala und Maria, die Mutter Jesu, auch sie sind ein Teil von uns, leben in uns. Sie stärken mich, führen mich zum Licht des Glaubens und lassen mich aushalten und dranbleiben.
Wenn wir uns ehrlich unsere Schwächen eingestehen, und unsere Stärken nicht überbewerten, dann können wir uns einander annehmen, als Sünder und als Gerechte. Es ist unwürdig für einen Christen, auf andere mit dem Finger zu zeigen, auf den Petrus, den Judas des anderen. Würdig allein ist die Haltung: mea culpa … meine Schuld. Und dann bitten wir gemeinsam: „Vater, vergib mir.“
Die Passionsgeschichte erdet uns und erhebt uns zugleich. Männer kommen nicht gut weg. Die verraten, leugnen, schlafen oder laufe feige weg. Es sind mutige Frauen, ich darf das mal so deutlich sagen, die ausgehalten haben, unterm Kreuz, die nicht weggelaufen sind. Es werden auch Frauen sein, die sich am Ostermorgen aufmachen und zum Grab Jesu gehen, um sich liebevoll um den Leichnam zu kümmern. Frauen werden die ersten Zeuginnen einer alle Grenzen der Vernunft sprengenden Hoffnung. Das Zeugnis der Frauen veränderte die Welt. Davon aber erst zu Ostern.
Er, den der Tod nicht binden konnte, entfesselt auch uns zum Leben, zum ewigen Leben. Wir werden sehen. Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.